Bahnprojekt Wildbad – Gompelscheuer

Als am Ende des 19. Jahrhunderts der Bau von Eisenbahn-Hauptstrecken im damaligen Königreich Württemberg weitgehend abgeschlossen war, bildeten sich allerorts Initiativen zum Bau von Nebenlinien, die die abseits der Verkehrsströme gelegenen Orte an das Netz anbinden sollten. Viele dieser Projekte wurden realisiert, wohl mindestens ebensoviele verschwanden jedoch aufgrund mangelnder Aussicht auf Rentabilität bald wieder in den Schubladen der Behörden. Hierunter befinden sich einige Kuriositäten – wie etwa der Plan, eine elektrische Schmalspurbahn von Wildbad (heute Bad Wildbad, Landkreis Calw) nach Gompelscheuer, einem kleinen Weiler im oberen Enztal, zu bauen.

– Überland-Straßenbahn für Kurgäste –

Wildbad war damals ein mondäner Kurort und wurde von zahlreichen – auch internationalen – Badegästen besucht. Schon im Jahr 1868 wurde die Stadt über das badische Pforzheim an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Neben dem Personenverkehr spielte hier auch der Abtransport von Holz eine bedeutende Rolle. Die weiter oberhalb im Enztal gelegenen Orte waren dagegen beim Holztransport weiterhin auf die Flößerei angewiesen. So entstand in der Gemeinde Enztal (heute Enzklösterle) die Idee, eine Eisenbahnlinie von Wildbad über Christophshof, Nonnenmiß, Enztal / Enzklösterle bis nach Gompelscheuer zu bauen. Hierzu wurde ein Nürnberger Regierungsbaumeister namens Wallensteiner damit beauftragt, eine Studie zu erstellen. Er arbeitete im Jahr 1899 einen detaillierten Plan aus, der aus heutiger Sicht recht grotesk erscheint.

In der Ortschronik von Enzklösterle sind Auszüge aus dieser Schrift abgedruckt. Der Plan sah eine Schmalspurbahn mit einer Spurweite von 600 mm vor, die elektrisch betrieben werden sollte. Bei der Sprollenmühle war hierfür die Errichtung eines Wasserkraftwerks vorgesehen. Im Stadtbereich sollte die Strecke als Straßenbahn angelegt werden und über die Wilhelm- und Kernerstraße verlaufen. Im Anschluss war bis zum Weiler Nonnenmiß eine Trasse parallel zur Straße im Enztal geplant, während das Reststück bis Gompelscheuer im Wiesenbereich verlaufen sollte. Bei den Weilern Christophshof und Sprollenmühle, sowie in Enztal / Enzklösterle und am Endpunkt in Gompelscheuer war die Errichtung von Holzverladestellen geplant.

– Nach Gompelscheuer im Stundentakt –

Das Betriebskonzept sah vor, auf der Innenstadtstrecke vom Bahnhof Wildbad bis zum Windhof im 15-Minutentakt zu fahren. Bis zur Sprollenmühle sollten die Bahnen jede halbe Stunde verkehren, bis Gompelscheuer jede Stunde – für die äußerst dünn besiedelte Region ein sehr dichter Fahrplan, verkehrten doch seinerzeit auf Nebenstrecken selten mehr als vier Zugpaare am Tag. In Wallensteiners Studie ist zu lesen: Wenn die Bahn dem Verkehr Wildbads und seiner Größe dienen soll, so muß eine recht zahlreiche Fahrgelegenheit vorhanden sein, […] Dies weist auf einen Betrieb hin, wie er bei städtischen Straßenbahnen vorhanden ist – ein Hinweis auf den lebhaften Kurbetrieb im damaligen Wildbad. Die Badegäste sollten so die Gelegenheit erhalten, mühelos in das mit vielen landschaftlich schönen Punkten ausgestattete obere Enztal befördert zu werden.

Es sollten acht elektrische Triebwagen mit 30 – 40 Sitzplätzen zum Einsatz kommen, für den Transport von Gepäck, Post und Stückgut sowie für Holz war zudem die Anschaffung von Güterwagen vorgesehen. Vom Bahnhof Wildbad bis nach Gompelscheuer wäre auf etwas mehr als 17 Kilometern ein Höhenunterschied von 244 Meter zu überwinden gewesen. Der Ein- und Ausstieg sollte auch abseits der Haltestellen möglich sein. Für die Fahrt nach Gompelscheuer war bei einer Geschwindigkeit von 10 km/h im Stadtbereich und 15 km/h auf Überlandabschnitten eine Fahrzeit von 80 bis 85 Minuten zu erwarten.

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Die Karte zeigt den ungefähren Streckenverlauf und die geplanten Stationen. Dass die Bahn nie gebaut wurde, verwundert angesichts der Eckdaten nicht weiter. Sie hätte wahrscheinlich keine all zu große Lebensdauer gehabt, vermutlich wäre sie schon vor oder kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wieder stillgelegt worden. Mit der für öffentliche Bahnen unüblichen Spurweite von 600 mm wäre sie in Württemberg ein Unikat geblieben – insgesamt wurden in Deutschland nur sehr wenige Linien dieser Art gebaut, das Größte Netz besaß die einstige Mecklenburg-Pommersche Schmalspurbahn.

– 2002: Stadtbahn zum Wildbader Kurpark –

So absurd die Vorstellung einer elektrischen Straßenbahn durch das obere Enztal nach Gompelscheuer erscheinen mag, ein Teil des Projekts ist in anderer Form etwa 100 Jahre später doch Realität geworden. Im Jahr 2002 wurde die Enztalbahn elektrifiziert und als Straßenbahn um etwa einen Kilometer durch das Stadtgebiet zum Kurpark verlängert. Hier kommen nun Zweisystem-Stadtbahnwagen der AVG zum Einsatz. Die Innenstadtstrecke ist wegen der beengten Verhälntisse nach der Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung angelegt worden und wird mit 750 V Gleichstrom betrieben.

© Jiří 7256

© Jiří 7256

Die Orte im oberen Enztal sind dagegen weiterhin nur mit dem Bus erreichbar. Der damals angedachte Stundentakt nach Gompelscheuer ist heute fast Realität, sieht man von Taktlücken am Vormittag und Abend ab. Links hinter der Haltestelle sollte einst der Bahnhof entstehen.

© Jiří 7256

Alle Aufnahmen entstanden am 17. November 2010.

Literatur:

Geier, Martin: Die Enztalbahn. Von der Stilllegungsdiskussion zur Stadtbahn. Ubstadt-Weiher 2003.

Mayer, Gerhard: Die Enztalbahn – Ein Jahrhunderttraum. Elektrisch betriebene Nebenbahn Wildbad – Gompelscheuer. In: Das Heimatbuch Enzklösterle. Eine Schwarzwaldgemeinde 1145-2003. Enzklösterle 2003. S. 129-132.

Wikipedia: Enztalbahn. 2010.

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