Ein liebenswürdig-altbackenes Einkaufszentrum mit dystopischem Charme und einer langen, ruhmlosen Geschichte blickt im Süden Londons seinem Ende entgegen, das Elephant and Castle Shopping Centre. Es wurde 1965 eröffnet und galt seinerzeit als das erste seiner Art in ganz Europa. Über dem Einkaufszentrum steht das elfstöckige Hannibal House, ein gleichzeitig erbautes Bürogebäude. Auf der Rückseite besteht ein direkter Zugang zur Elephant and Castle Railway Station.
Der Komplex entstand ab 1960 auf einer Fläche, die nach schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg lange unbebaut war. Der markante Name geht auf ein einstiges Gasthaus zurück und ist 1765 erstmals nachgewiesen. Trotz dass das Einkaufszentrum als revolutionär angepriesen wurde, konnten anfangs nicht alle der 120 Ladengeschäfte vermietet werden. Mit der Zeit geriet es zunehmend in Verruf und heute präsentiert es sich so, wie unzählige ähnliche Center in ganz Europa. Während die angesagten Mode- und Elektronikketten den jeweils neuesten und glamourösesten Shoppingmalls hinterherziehen, bleibt in den Alt-Centern ein bizarrer Mix aus Geschäften des täglichen Bedarfs und sagenhaften Trashläden. In Verbindung mit der aus der Zeit gefallenen, einst hochmodernen Architektur entsteht ein sonderbarer Charme zwischen Trostlosigkeit und anmutiger Nostalgie. Als „beautiful beast“ mit grobschlächtiger Architektur und Untergangsambiente wurde das Elephant and Castle Shopping Centre in einem Artikel auf der Seite „Londonist“ bezeichnet; zugleich öde, bunt und grotesk – „This is the London that’s being squashed underfoot by glimmering artist’s impressions every day.“
„I am fascinated by ugliness.“
Wie viele Bauten der 60er- und 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts polarisiert das Einkaufszentrum und scheint mehr Feinde als Freunde zu haben. In einer Umfrage der Website „Time Out“ wurde es unter die 20 größten architektonischen Schandflecken der Stadt gewählt. Wenngleich die Abneigung quantitativ zu überwiegen scheint, finden sich doch einige Stimmen, die liebevoll ihre Begeisterung für das Elephant and Castle Centre zum Ausdruck bringen. Der Autor der Seite „London Destruction“ etwa schreibt: „Maybe it is the hideous carbuncle as described by most planners and architects today. Until you look at their contemporary master works and see that the Elephant Mall is exactly the same!“ Er bezeichnet das Einkaufszentrum als wichtiges Beispiel für eine Utopie der 60er-Jahre und tritt für seinen Erhalt ein. Der Aufruf dürfte jedoch wohl weitgehend ungehört verhallen, konnten doch weit berühmtere Bauten dieser Ära, etwa die Birmingham Central Library, trotz breiter Initiativen nicht gerettet werden.
Auf der Seite „Place in Mind“ bekennt sich die Schriftstellerin Lionel Shriver zu ihrer Liebe zum Elephant and Castle Centre, stellt jedoch entschuldigend voran: „I am fascinated by ugliness.“ Offenbar dominiert das kollektive und medial verbreitete Urteil über die Nachkriegsarchitektur derart, dass man sich eine Vorliebe für das Hässliche attestieren muss, um öffentlich zugeben zu können, dass man Gefallen daran findet.
Emoji-Kissen und Einhornparfum
Wer diese Vorliebe teilt und von der Straßenseite in das verlorene Shoppingparadies eintreten will, sucht zunächst vergeblich nach einem ebenerdigen Eingang. Die Stockwerke sind zum Straßenniveau derart versetzt, dass die obere Shopping-Ebene vom Gehweg über eine lange Rampe zu erreichen ist, die untere über eine enge, dunkle Treppe.
Vorbei an Mülltonnen geht es neben einem Geschäft für Taschen und Koffer ins Innere. Zwischen modischen Handtaschen verbirgt sich ein Elixir mit dem märchenhaften Namen „Unicorn Magic“ in rosa Glitzeroptik.
Zwei breite Hauptgänge, beidseitig von Ladenzeilen gesäumt, kreuzen sich in der Mitte des Centers und bilden somit eine Art moderne Adaption des Zähringerkreuzes. Der pseudohistorische Marktwagen und der Bürostuhl fügen sich auf dem Kunststeinplattenboden zu einem harmonischen Bild zusammen.
Gegenüber verkauft ein kleiner Laden Schuhe, Accessoires, Koffer und Taschen, worunter sich so manches nicht unlustige Schätzchen versteckt. Man beachte etwa die Melonentasche oder den Schmetterlingstrolley.
Dieser Laden, ebenfalls auf der unteren Ebene, verspricht ein ähnliches Angebot. Er war jedoch am Besuchstag, einem Sonntag, leider geschlossen. Desweiteren gibt es unten einen Tesco-Markt, einen Grußkartenladen und eine Apotheke. Oberhalb der zweiten Ebene befindet sich ein Bowlingcenter.
Insgesamt bot der Center eine eher ruhig-beschauliche Atmosphäre. Kein Vergleich mit dem gleichzeigen Gewusel in der Londoner City.
Mit seinem Rolltor und der 1980er-Optik lässt dieses Teppichgeschäft unweigerlich Assoziationen an Filme wie „Blade Runner“ oder „Total Recall“ aufkommen. Im Inneren herrscht Chaos.
Eine Ebene weiter oben zieren diese schicken bunten Elefanten das Geländer.
Fahrgeschäfte für Kinder dürfen in keinem Einkaufszentrum fehlen.
Man könnte dieses Schaufenster als das Produkt enthemmter Geschmacklosigkeit bezeichnen, würde dabei jedoch die gekonnt grazile Komposition der Ausstellungsstücke verkennen, die es zu einem unfreiwilligen Kunstwerk werden lässt. Oder so.
Von der oberen Shopping-Ebene führt ein Fußgängerweg direkt in den Bahnhof Elephant and Castle.
Vom Bahnsteig bietet sich ein interessanter Blick auf das Hannibal House.
Das Gesamtkunstwerk moderner Architektur aus Einkaufszentrum und Bürohochhaus sollte bereits im Jahr 2010 abgebrochen werden, doch es hält sich bislang wacker. Die Pläne zur kompletten Neuordnung des Geländes sind jedoch mittlerweile sehr weit gediehen. Zeitungsberichten zufolge soll im Jahr 2018 mit dem Bau eines – welch Wunder – neuen Einkaufszentrums mit Kino begonnen werden. Ob dies tatsächlich so kommt, steht in den Sternen. Dennoch sollte man sich nicht zu viel Zeit lassen, will man Europas erstem Shoppingcenter noch einen Abschiedsbesuch abstatten.
Die Aufnahmen entstanden am 21. August 2016.
Quellen und Links
Elephant and Castle Shopping Centre: Offizielle Website
Elephant and Castle Town Centre Regeneration: Offizielle Website
EveningStandard: 27 brilliant black-and-white photographs of Elephant and Castle over the years
Evening Standard: First look at ambitious plans for transformed Elephant and Castle town centre
London Destruction: Elephant & Castle Shopping Centre
Londonist: An Ode To Elephant And Castle Shopping Centre
Place in Mind: Lionel Shriver: Elephant and Castle Shopping Centre
Time Out London: London’s worst buildings
Wikipedia: Elephant and Castle