Tiraspol 02/12: Transnistrischer Wahlkampf

Kundgebung in Tiraspol am 9. November 2011 Foto: Jiří 7256 – 1024x768

– Stadtportrait in zwölf Teilen –

01 Hauptstadt in Anführungszeichen
02 Transnistrischer Wahlkampf
03 Wohnblocks
04 Audi 80, VW Passat & Co.
05 Квас / Пиво
06 Sheriff / Шериф
07 Kvint
08 Trolleybusse
09 Transnistrische Taxiwerbung
10 Verführerische Aufsteller
11 Automaten
12 Парк кулътуры и отдыха Победа

Wahl im Separatistenstaat

Am 11. Dezember stehen in der PMR zum vierten Mal Präsidentschaftswahlen an, zum vierten Mal kandidiert der seit 20 Jahren herrschende, 70jährige Igor Smirnow. Doch im Gegensatz zu allen bisherigen Urnengängen kann er jetzt nicht mehr auf Unterstützung aus Russland zählen. In Moskau schwindet offenbar die Lust, den Autokraten weiter zu stützen. Medienberichten zufolge wird seinem Sohn Oleg mittlerweile vorgeworfen, russische Entwicklungshilfegelder veruntreut zu haben. Er soll sich davon Immobilien im Raum Moskau gekauft haben, es liegt gar ein Haftbefehl gegen ihn vor. Doch das scheint nicht der einzige Grund für die veränderte Haltung Moskaus zu sein, schließlich ließ Russland Smirnow die vergangenen 20 Jahre ungehindert walten. Auch die mittlerweile auf mehrere Milliarden US-Dollar angewachsenen Schulden bei Gazprom schienen bislang niemanden zu stören.

DerStandard.at vermutet, der russische Präsident Medwedew versuche sich als Friedensstifter zu profilieren und habe sich dazu den kleinen Separatistenstaat vor den Toren der EU ausgesucht. Denn eine Lösung des Konflikts ist mit Smirnow als Präsident kaum möglich, zu paranoid hetzte er seit Jahren gegen die Führung in Chişinău, die er als Faschisten verschrie und seiner Bevölkerung stehts ein imperialistisches Bedrohungsszenario vorgaukelte. Im vergangenen Jahr einigten sich Angela Merkel und Dmitri Medwedew offenbar darauf, eine baldige Lösung des PMR-Problems anzustreben. Die Kehrtwende in der russischen Transnistrien-Politik könnte hiermit in Zusammenhang stehen. Als zusätzliches Druckmittel gegen die PMR erwägt Moskau mittlerweile ein Einfuhrverbot für transnistrischen Cognak der Firma Kvint, ein Hauptexportprodukt der PMR.

Smirnow kündigt Referendum über Anschluss an die Ukraine an

Moskau unterstützt nun den Gegenkandidaten Anatoli Kaminski der Partei Обновление („Erneuerung“), der sich offenbar für tiefgreifende Reformen im Staatssystem einsetzt. So will er etwa die Amtszeit des Präsidenten auf zehn Jahre begrenzen und sich gegen Korruption einsetzen. Dem Blog Russia Profile zufolge sind seine Aussichten so schlecht nicht, da die Bevölkerung der PMR sich durchaus bewusst ist, was es bedeuten kann, wenn die russische Führung sind von Tiraspol abwendet. Dies könnte durchaus eintreffen, sollte Smirnow die Wahl erneut gewinnen. Dieser kündigte mittlerweile an, ein Referendum über den Anschluss Transnistriens an die Ukraine abzuhalten, sollte er die Wahl gewinnen. Der Schritt wird teilweise als Verzweiflungstat gewertet.

Flyer des Kandidaten Oleg Chorschan

Doch Smirnow und Kaminski sind nicht die einzigen Kandidaten. Zur Wahl steht auch der bisherige Oppositionschef Evgeni Schewtschuk. Dieser gilt jedoch als Technokrat und pragmatischer Reformer, von dem man offenbar annimmt, dass er im Konfliktlösungsprozess zu viele Zugeständnisse an den Westen beziehungsweise an Chişinău machen könnte. Daher scheint die Moskauer Rückendeckung für ihn ebenfalls gering zu sein. Hinzu kommt noch als Außenseiterkandidat der Chef der Kommunistischen Partei, Oleg Chorschan. Dieser war vor einigen Jahren zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil er Protestkundgebungen gegen die Regierung veranstaltet hatte. Doch offenbar dürfen seine Anhänger immerhin unbehelligt Werbeflyer auf der Straße verteilen.

Eine Stadt in Rot-grün-rot

Dieser Tage häufen sich in Tiraspol die Kundgebungen. Dabei strömt die Jugend mit rot-grün-roten Flaggen und Kostümchen auf die Straße des 25. Oktober und hört den Reden der Kandidaten zu. Die Miliz sperrt eigens die Straße, Plakate demonstrieren den Willen zur Unabhängigkeit der PMR. Die junge Generation identifiziert sich offensichlich mit diesem „Staat“, der eine eigene Flagge, ein Wappen und eine Hyme besitzt. Zwar wandern viele junge Menschen aus Transnistrien aus, auf der Suche nach Arbeit verschlägt es sie nach Russland und Westeuropa, doch für viele der Dortgebliebenen ist die PMR offenbar ein Stück Heimat. Kein Wunder, existiert doch dieser Schattenstatt nun bereits seit 21 Jahren. Viele junge Menschen kennen nichts anderes, obwohl dieses Land sich auf keinerlei völkerrechtlicher Grundlage entwickelt hat. Eine „transnistrische“ Nation ist – drastisch ausgedrückt – letztlich eine reine Erfindung.

Insofern scheint diese Generation einer Desillusionierung entgegenzusteuern, egal wie die Wahl am 11. Dezember ausgehen wird. Eine völkerrechtliche Anerkennung der PMR scheint utopisch, wäre doch damit ein durch Waffengewalt entstandenes Staatsgebilde nachträglich legitimiert. Ende November werden die Gespräche zur Lösung des Konflikts zwischen der Führung in Chişinău und dem PMR-Regime wieder aufgenommen. Diese unter Vermittlung von Russland, der Ukraine und der OSCE sowie unter Beobachtung duch die EU und die USA geführten Verhandlungen waren 2006 ergebnislos abgebrochen worden. Sollten sie eines Tages erfolgreich abgeschlossen werden, wird von der PMR wohl nicht mehr als eine bizarre Randnotiz in der Weltgeschichte übrig bleiben.

Literatur:

Ballin, André (derStandard.at): Russland erhöht Druck auf Transnistrien. 2011.

Frolov, Vladimir et. al.: (Russia Profile): Is Moscow Staging an “Orange Revolution” in Transdnestr? 2011.

Issakowa, Elisaweta (Stimme Russlands): Transnistrien am Scheideweg. 2011.

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